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Mix Pix #1

Word Clouds wurden in den letzten Jahren als “the gateway drug to textual analysis” gehandelt. Bei einer Word Cloud werden die einzelnen Wörter eines bestimmten Textes proportional groß zu ihrer Häufigkeit dargestellt, ausgenommen so genannter Stoppwörter, d.h. Wörter, die sehr häufig auftreten und in der Regel keine Rückschlüsse auf den Textinhalt zulassen wie etwa bestimmte oder unbestimmte Artikel, Konjunktionen oder Präpositionen.

Solche Word Clouds lassen sich mit frei verfügbaren Tools einfach generieren, z.B. mit Wordle oder den Voyant Tools, einem Toolkit zur Textexploration, bei dem sich sogar die Anzahl der angezeigten Wörter einstellen lässt.

Word Cloud mit 25 Wörtern, Voyant Tools, 2017
Word Cloud mit allen 360 Wörtern, Voyant Tools, 2017

Inwiefern Wortwolken für die Textexploration sinnvoll sind, darüber lässt sich streiten. Aber darum soll es hier auch gar nicht gehen. Vielmehr habe ich mich gefragt, ob sich das Prinzip nicht auch auf Bilder übertragen lässt, um einem Text eine Bildebene hinzuzufügen, die ihn einerseits illustriert, andererseits aber auch visualisiert – eine Fragestellung, die mich schon einmal umgetrieben hat.

Analysiere ich meine Kurzgeschichte Bert brach Olt die Ohren, die hier als Beispiel dienen soll, mit den besagten Voyant Tools, dann erfahre ich, dass sie aus insgesamt 580 Wörtern besteht, wovon 360 nur je einmal vorkommen, und dass Bert, Olt, digitalen, Ebene und rückgängig die fünf häufigsten Wörter sind. Bert kommt siebenmal vor, Olt fünfmal, digitalen, Ebene und rückgängig je dreimal.

Meine Idee besteht nun darin, die zentralen Begriffe eines Textes durch je ein Bild zu repräsentieren, so dass sich die verschiedenen Bilder sich zu einer Collage zusammenfügen, die ich Mix Pix nennen möchte. (Für einen Moment hatte ich überlegt, eine solche Bildcollage in Analogie zu Wordle Picle zu nennen, was im Deutschen aber doch sehr unschöne Assoziationen weckt.)

Ein solches Mix Pix habe ich beispielhaft für meinen Bert-Olt-Text entwickelt, wobei ich mich dafür entschieden habe, neben den Protagonisten Bert und Olt nur die beiden Wörter digitalen und rückgängig zu visualisieren und das Wort Ebene außen vor zu lassen, weil es mir im Vergleich weniger relevant erschien. Da ich meine Entscheidung aber nicht nur auf einen subjektiven Eindruck gründen wollte, habe ich noch einmal genauer hingesehen und festgestellt, dass die anderen Wörter noch jeweils in einer Variante vorkommen, sei es in ihrer Genitivform, etwa Berts (einmal) und Olts (zweimal), oder anderweitig flektiert, etwa digitaler (zweimal), oder aber in Form eines Synonyms, wie Undo (einmal) für rückgängig. Diese Beobachtung hat mich lange grübeln lassen, ob ich diese Varianten nicht auch in die Zählung einbeziehen sollte – und ja, ich habe mich dafür entschieden. Damit sind die Mix Pix mehr als bloße Statistik und mehr Illustration als Visualisierung. Und das sollen sie auch sein.

Nun aber endlich zur konkreten Umsetzung dieser ganzen doch etwas trockenen Überlegungen: Die passenden Bilder hatte ich praktischerweise schon parat, da ich den Text bereits Anfang vergangenen Jahres illustriert hatte, um ein kleines Büchlein zu gestalten. Also habe ich die entsprechenden Bilder quadratisch zugeschnitten und so skaliert, dass die Seitenlänge des Quadrats der jeweiligen Worthäufigkeit entspricht. Nach rein ästhetischen Gesichtspunkten habe ich die Bilder schließlich nebeneinander angeordnet und mit einer schwarzen Linie umrandet, um sie optisch besser voneinander abzugrenzen. Fertig ist das erste Mix Pix.

Mix Pix #1, Ruth Reiche, 2017

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Bert brecht Olt die Ohren (Skizzen und Ergebnis)

Manchmal ist es interessant, nicht nur das fertige Produkt zu sehen, sondern etwas über den Entstehungsprozess zu erfahren. Für das Künstlerbuch Bert brecht Olt die Ohren sind insgesamt 13 etwas aufwändigere Zeichnungen und über 25 kleinere Zeichnungen und handgeschriebene Texttäfelchen entstanden. Da das Zeichnen mit Pigmentliner keinerlei Korrekturen erlaubt, habe ich vorab meine Vorstellungen grob skizziert, um sie dann mit vielen Details spielerisch ins finale Medium umzusetzen. Hier drei Beispiele zum Vergleich:

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Alice im Wunderland: Ein zweiter Versuch…

Auf meinen allerersten Versuch, Alice’s Adventures in Wonderland auf illustrative Weise zu visualisieren, folgt nun ein zweiter Versuch, der mehr Visualisierung als Illustration ist, der aber – wie ich denke – eine gute Basis für weitere, stärker illustrativ angelegte Versuche bildet. Ziel dieses zweiten Versuchs ist es, alle Charaktere des Buches visuell hervorzuheben, um zu sehen, an welcher Stelle welche Charaktere vorkommen und womöglich interagieren. Die vorkommenden Charaktere werden durch jeweils andersfarbige Quadrate dargestellt, alle anderen Wörter durch schwarze Punkte. Jedes Wort ist also durch ein Zeichen repräsentiert. Die Anordnung entspricht hierbei der gewohnten Leserichtung. Die gewählten Farben sind zufallsgeneriert, besitzen also keinerlei symbolischen Charakter noch entsprechen sie etwaigen wahrnehmungsphysiologischen Anforderungen. Da die Charaktere hier nur durch Farben dargestellt sind, nicht durch für sich selbst sprechende Bilder, wird zudem eine Legende benötigt, um die Visualisierungen entschlüsseln zu können. Die Sternchen markieren das jeweilige Kapitelende.

Die kapitelweisen Visualisierungen habe mit Processing erstellt und als Textgrundlage hierfür The Millenium Fulcrum Edition 3.0 vom Project Gutenberg genutzt. Der eingelesene Text wird in einem ersten Schritt aufbereitet (Satzzeichen, Absätze etc. entfernt) und schließlich nach Wörtern durchsucht, was einige Entscheidungen mit sich bringt. Da etwa das weiße Kaninchen mal als White Rabbit, mal als Rabbit bezeichnet wird, habe ich mich dafür entschieden, nur nach Rabbit zu suchen und dieses Wort durch ein farbiges Quadrat darzustellen, um die Häufigkeit von Doppelwort-Charakteren in der visuellen Darstellung nicht fälschlicherweise in die Höhe zu treiben. Dies betrifft auch Cheshire Cat, Queen of Hearts, Mad Hatter, Mary Ann, March Hare oder Mock Turtle. Bei den guinea-pigs hingegen besteht bei einem einfachen Abgleich der Strings die Gefahr einer Verwechslung mit dem pig, einem anderen Charakter, weshalb ich in diesem Fall nur nach guinea gesucht habe. Da ich die Legende automatisiert erstellt habe, um Fehler in der Farbzuordnung zu vermeiden, sind hier die genutzten Suchwörter vermerkt, nicht die vollen Namen der Charaktere.

 

Chapter I. Down the Rabbit-Hole
Chapter I. Down the Rabbit-Hole

 

Chapter II. The Pool of Tears
Chapter II. The Pool of Tears

 

Chapter III. A Caucus-Race and a Long Tale
Chapter III. A Caucus-Race and a Long Tale

 

Chapter IV. The Rabbit Sends in a Little Bill
Chapter IV. The Rabbit Sends in a Little Bill

 

Chapter V. Advice from a Caterpillar
Chapter V. Advice from a Caterpillar

 

Chapter VI. Pig and Pepper
Chapter VI. Pig and Pepper

 

Chapter VII. A Mad Tea-Party
Chapter VII. A Mad Tea-Party

 

Chapter VIII. The Queen's Croquet-Ground
Chapter VIII. The Queen’s Croquet-Ground

 

Chapter IX. The Mock Turtle's Story
Chapter IX. The Mock Turtle’s Story

 

Chapter X. The Lobster Quadrille
Chapter X. The Lobster Quadrille

 

Chapter XI. Who Stole the Tarts?
Chapter XI. Who Stole the Tarts?

 

Chapter XII. Alice's Evidence
Chapter XII. Alice’s Evidence

 

Legende
Legende
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Ein Kaninchen namens Olt

Vor ungefähr drei Jahren habe ich eine Geschichte über den Künstler Bert und sein treues Kaninchen Olt geschrieben, die ich zur Zeit illustriere und die dann im Zentrum meiner Ausstellung im Braunschweiger Tatendrang-Laden stehen wird, auf die ich mich schon sehr freue. Als eine kleine Vorschau hierauf gibt es nun ein paar „transformierte“ Kaninchenbilder zu sehen – die Anführungszeichen deshalb, da Bert seine Olt-Fotografien digital bearbeitet, ich hier hingegen rein analog mit Bleistiftvorzeichnung und Fineliner gearbeitet habe, um zu verschiedenen Varianten desselben Motivs zu gelangen (ein wenig so wie bei den Bäumen).

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Bert brach Olt die Ohren

Bert hielt sich in den letzten Tagen, nein: Wochen, Monaten, keine einzige Sekunde in seinem Atelier im Dachgeschoss eines alten Bauernhauses auf, sondern verbrachte seine freie Zeit am Schreibtisch, genauer: an seinem neuen Spielzeug, einem digitalen Bildbearbeitungs­programm. Über die Jahre hinweg hatte er hunderte, wenn nicht gar tausende von Fotografien seines treuen Albinokaninchens, dem er aus Jux den Namen Olt gegeben hatte und das alljährlich von der Schlachtbank verschont blieb, da es sich als geduldiges Modell erwies, angefertigt, die er nun endlich zu überarbeiten gedachte. Er experimentierte mit Filtern, mit Masken, probierte sämtliche Transformationseffekte aus, die das Programm ihm zu bieten hatte, er justierte Gradationskurven, manipulierte Tonwerte, dehnte und verzerrte in seinem nicht enden wollenden Wahn die Bilder Olts, die immer stärker zu Versuchskaninchen seiner Besessenheit wurden. Immer wieder machte er sich daran, in die dilettantische Ästhetik seiner ersten Versuche einzugreifen, machte misslungene Schritte rückgängig und speicherte jeden Zwischenstand ab. Überhaupt liebte Bert das Undo sehr, erlaubte es diese Funktion ihm doch, seiner Kreativität ohne Angst völlig freien Lauf zu lassen, Olt etwa bedenkenlos zu einem unansehnlichen Ungeheuer aufzublasen, ihm schwarzes Fell und grausig leuchtende Augen zu verpassen, um ihn dann mit einem Mausklick wieder in das harmlose Kaninchen zurückzuverwandeln, das er nun einmal war.

Nachdem Bert schließlich so etwas wie Expertise auf diesem Gebiet erreicht hatte, ja sogar bereits die ein oder andere Ausstellung mit seinen digitalen Bildern bestückt hatte, sehnte er sich wieder nach echter Farbe, nach dem beißenden Geruch von Öl und Terpentin. Inspiriert von den teils psychedelisch anmutenden Ergebnissen seines Photoshop-Exzesses, stapfte er am Nachmittag eines regnerischen Tages um 15:24 Uhr endlich einmal wieder in sein ihm so vertrautes Atelier, in sein altes Reich, um eines seiner digitalen Kaninchen in Malerei umzusetzen. Ebenso wie sein prominenter Namensvetter schon 1931 konstatiert hatte, dass der Filmsehende Erzählungen anders liest als derjenige, der keine Filme rezipiert, umgekehrt aber auch der Schriftsteller die filmischen Konventionen in sein literarisches Werk über­nähme, musste Bert nun seinerseits feststellen, dass er nicht nur seine alten Gemälde durch die Brille eines an digitaler Bildbearbeitung Geschulten sah, sondern auch die Arbeitsweise an seinem neuen Projekt der spezifischen Prozesshaftigkeit digitaler Bild­bearbeitung unterlag. Statt seine Vorlage systematisch zu kopieren, legte Bert Ebene über Ebene und verteilte die Farben in großen Mengen auf der Leinwand. Plötzlich hielt er für einen Augenblick inne und betrachtete sein Ergebnis. Er war damit nicht zufrieden, ja sogar ganz und gar unzufrieden. Die letzte, voreilig aufgetragene Farbschicht – ein gebrochenes Dunkelgrün – hatte die Wirkung seines subtilen Farbspiels völlig zerstört. Reflexartig dachte Bert daran, die Transparenz dieser Ebene einfach ein wenig zu mindern oder gar diesen Schritt vollständig rückgängig zu machen. Er torkelte zurück, denn es wurde ihm schlagartig bewusst, dass dies nicht ging, er konnte ihn nicht rückgängig machen – so wie bei seinem Bildbearbeitungsprogramm, an das er sich so sehr gewöhnt hatte. Voll innerer Verzweiflung sah Bert sein Können schwinden und sank erschöpft zu Boden. Eine zähe Müdigkeit überfiel ihn, so dass er innerhalb weniger Sekunden weggenickt war.

Olt, zum sinnbildlichen Opfer des misslungenen Versuchs medialer Transformationen geworden, hoppelte um 19:02 Uhr an Berts gekrümmten Körper vorbei, beschnupperte dessen Gesicht und guckte ihn aus seinen roten Augen vorwurfsvoll an. Der Künstler schreckte aus seinem traumlosen, aber dennoch unruhigen Schlaf hoch, erwiderte Olts Blick mit einer eisigen Kälte, so als sei Olt allein für sein Versagen verantwortlich, und griff wütend nach dem Tier. Ruhig betrachtete er es von allen Seiten, dann schleuderte er es angewidert von sich und brach Olt dabei die Ohren.

Die Referenz auf Bertolt Brecht stammt aus Christopher Balmes Aufsatz „Theater zwischen den Medien: Perspektiven theaterwissenschaftlicher Intermedialitätsforschung“, der 2003 in dem Sammelband Crossing Media erschien. Brechts auf die Intermedialitätsdebatte bezogene Beschreibung des oben genannten Phänomens aus dessen Schrift „Über die Dreigroschen­oper“, die auf der zwanzigsten Seite des Bandes von Balme zitiert wird, inspirierte mich zu vorliegendem Text.