Langweilige Zugfahrten bringen es manchmal mit sich, dass man auf (gute) Ideen kommt. Letztens hatte ich mein Skizzenbuch dabei, doch spannende Motive waren nicht in Sicht, so dass ich damit anfing vor mich hin zu kritzeln. Ich zeichnete Punkte, verband sie mit Linien, versuchte die entstandene Fläche dreidimensional darzustellen und fand schließlich zu einem systematischen Verfahren, um kristallin aussehende Formen entstehen zu lassen. Nachdem ich das Prinzip x-mal durchgespielt habe, hat es mich gestört, dass ich die Punkte, die zu Beginn eines jeden Kristalls stehen, beliebig setze, ihre Anordnung zufällig ist. Wäre es nicht interessanter, wenn sie durch irgendetwas vorgegeben wären? Dieses irgendetwas war schnell gefunden: Betrachtet man eine Buchseite und markiert bestimmte Wörter, dann erhält man gewissermaßen solche Ausgangspunkte. Musste also nur noch ein Buch her, das sich mit Kristallen beschäftigt, so dass nicht nur eine rein formale, sondern eine semantisch aufgeladene Bild-Text-Relation entsteht. Chemie? Nein, Deleuze!
Gilles Deleuze, ein moderner Klassiker. In seinem Buch Das Zeit-Bild. Kino 2 (dt. 1997, orig. 1985) prägt er den Begriff des Kristallbildes. Dieser besonderen Form des Zeit-Bildes widmet er sein viertes Kapitel. Ich habe mir hier das erste Unterkapitel vorgenommen und alle Wörter markiert, die mit Kristallen zu tun haben (Kristallbild, kristallin, kristallisieren etc.). In meiner Ausgabe (Suhrkamp) häufen sich derartige Wörter besonders auf den Seiten 96, 99, 103 und 104, weshalb ich beschlossen habe, diese Buchseiten zu kristallisieren. Ich habe Transparentpapier über die Seiten gelegt, und an Stelle jedes markierten Wortes einen Punkt gesetzt, die die Ausgangspunkte für die Zeichnung bilden. Entstanden sind vier verschiedene Kristalle, die in direkter Relation zum Text stehen.
Der erste Kristall zeigt das Verfahren, macht das Schema deutlich, aber auch, dass ausgehend von einer Grundform unzählige Variationen möglich sind, insofern zwar die Anzahl, aber nicht der Winkel und die Länge der abgehenden Striche vorgegeben sind. Zudem sind die vier Kristalle Handzeichnungen, keine lupenreinen Kristalle. Doch das steigert ihren Wert.
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